„Zwei Morde sind einfach zu wenig“

Die freie Autorin Hannah Fleßner schreibt gemeinsam mit ihrem Vater Bernd Flessner Frankenkrimis.

Von Reinhard Kalb – Erlangen/Nürnberg
QUelle: www.nordbayern.de

Zu zweit an einem Instrument spielen-geht das? Es geht: etwa Klavier vierhändig.

Oder zu zweit an der Orgel: Einer bedient das Manual, der andere tritt den Blasebalg. Aber zu zweit einen Roman schreiben? Nebeneinander an einer Tastatur? Die Zahl der Autorengespanne ist sehr überschaubar. Hier haben die Franzosen die Nase vorne. Die Brüder Goncourt oder das Krimi-Duo Boileau und Narcejac. In Schweden trugen Maj Sjöwall und Per Wahlöö ihr Scherflein zu Mord und Totschlag bei.

Im Frankenkrimi ist nun auch ein Paar tätig. Bernd Flessner und Hannah Fleßner. Sind die verheiratet oder verwandt? Oder doch nicht, wegen ss und ß? Hannah Fleßner lüftet das Mysterium: „Wir sind Vater und Tochter. Der Name kommt aus Ostfriesland und wird mit scharfem S geschrieben. Mein Vater hat sich aufs Doppel-S verlegt, weil das scharfe S im Ausland und in vielen Schriftarten nicht vorkommt. Ich aber halte am scharfen S fest und habe das beim Verlag durchgesetzt. Nur kennt dessen Typographie auf dem Umschlag kein scharfes S, deshalb steht auf dem Einband mein Name mit Doppel-S und auf dem Vorsatzblatt mit scharfem S.“

Kritische Gegenleserin

Begonnen hatte die Co-Autorenschaft eher schleichend. Nach dem Studium der Theater- und Medienwissenschaften sowie der Kunstgeschichte arbeitete Hannah Fleßner erst als Lektorin. Nebenher begann sie, Geschichten zu schreiben. Zudem war sie kritische Gegenleserin und sozusagen Erstlektorin für die Bücher ihres Vaters, eines Publizisten und Medienwissenschaftlers, der von 1991 bis 2010 Germanistik an der FAU lehrte und seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWis) der FAU ist. Ihre Ideen fanden derart Berücksichtigung, dass Vater Bernd sie schließlich zur Zusammenarbeit für den nächsten Krimi um Hobbydetektiv Dollinger einlud: „Der Blaukrautmörder“ (wir stellten das Buch bereits vor).

In der Gartenkolonie

Gemeinsam brüteten sie über dem Konzept. Das da lautet: Nischenkrimi im Nischenkrimi. „Der Blaukrautmörder“ ist erstens ein Frankenkrimi, also ein Regionalkrimi mit allem, was es an Fränkischem, Aischgründischem und Abgründigem zu berücksichtigen gilt. Zweitens aber auch ein Gartenkrimi, da er in einer Gartenkolonie spielt. Deswegen recherchierten Vater und Tochter gemeinsam, ob in Sachen Botanik alles seine Richtigkeit hat, ob dieses oder jenes Gewächs zur besagten Tatzeit wirklich in Blüte steht. Dann die Handlung: „Wen bringen wir um? Und wie? Da wird man sehr kreativ“, meint Hannah Fleßner. Als das Konzept feststand, setzte sich Vater Bernd an den Schreibtisch und legte los. Die Seiten mailte er dann an seine Tochter, die das ganze überarbeitete, fortschrieb und zurücksandte. „Und so ging es gegenseitig weiter, wie in einem Staffellauf“, meint Hannah Fleßner. Während Vater Bernd als Nachteule spätabends schreibt, ist Hannah die Lerche am Morgen. Spätestens 5.30 Uhr blubbert die Kaffeemaschine, glimmt der Monitor, trudeln die nächsten Seiten ein und harren der Fortschreibung. „So geht das wie im Pingpongspiel.“ Hannah Fleßner ist Jahrgang 1991, ihr Vater Jahrgang 1957. Macht sich der Generationsunterschied im Schreibstil bemerkbar? Der Leser hat den Eindruck, den Roman eines Einzelautors zu lesen. „Das war unsere Absicht“, erklärt die freie Autorin. So manche Modernität ist nicht unbedingt der Jugend geschuldet. „Die Drohne, die Dollinger verfolgt-das hatte sich mein Vater ausgedacht“, widerlegt Hannah den Verdacht des Kritikers. „Umgekehrt geht der dritte Mord am Ende auf mein Konto. Zwei Morde sind einfach zu wenig!“ Auch der Modus operandi geht auf Hannah Fleßner zurück. Der vergiftete Apfel ist eine Huldigung an das tragische Mathematikgenie Alan Turing. Der hatte auch den Turingtest ausgearbeitet, der die künstliche Intelligenz definiert.

Fieser Android

Momentan sitzt Hannah Fleßner an ihrer Dissertation. Allerdings geht die nicht über Mord und Totschlag, sondern über Roboter, Cyborgs und Androiden im Science-Fiction-Film- von der eisernen Jungfrau „Metropolis“, dem drolligen Robby in „Alarm im Weltall“ und dem schweigsamen Gort in „Der Tag an dem die Erde stillstand“ über HAL 9000 in „2001-Odysee im Weltraum“, dessen Pendant „Mutter“ in „Alien“ und den fiesen Androiden Ash im selben Film bis zu David in der Fortsetzung „Prometheus“ und der rehäugigen Unschuld ´, die in „Ex Machina“ ihrem Prüfer den Kopf verdreht. So gesehen sind künstliche Intelligenzen die perfekten Killer, allen Asimovschen Geboten zum Trotz: Sie denken logisch, rein faktenorientiert und kennen keine Hemmungen ethischer oder religiöser Art. „Ich bewundere die Reinheit seiner Konzeption“, sinniert der Roboter Ash über das Alienmonstrum. Vielleicht tut sich bald eine neue Nische auf: der Frankenkrimi auf dem Mars mit Astronaut Dollinger.

Quelle: HHE/Samstag, 19.Dezember 2020 S.40